„Die EU in den Medien“ – Bericht über die Podiumsdiskussion

Am 19. November 2015 diskutierte Visionen für Europa mit mehr als 160 Studierenden und Interessierten über die Rolle der Europäischen Union in den Medien. Schlagzeilen zur Eurorettung und Flüchtlingspolitik rücken europäische Themen viel stärker in den Fokus. Unter der Moderation von Dr. Dirk Arnold, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft der WWU Münster, war die spezifische Arbeitsweise im europapolitischen Journalismus eine zentrale Thematik während des Diskussionsabends: Wie werden komplexe europäische Themen den Leser*innen vermittelt? Außerdem kreiste die Debatte regelmäßig um die Fragen nach einer europäischen Identität und um die Existenz einer europäischen Öffentlichkeit.

Zum Umgang mit der Komplexität der EU hatten unsere Podiumsgäste sehr unterschiedliche Standpunkte. Dirk Hoeren, Chefkorrespondent der BILD für Europa- und Bundespolitik, hob hervor, dass die Leser*innen als Kundschaft im Mittelpunkt stehen. Berichtet wird daher über lesernahe Themen: Wofür werden unsere Steuern in Brüssel verwendet? Zudem ist der Unterhaltungswert einer Nachricht wichtig, so berichtet die BILD auch gerne über die Regulierung von Ölkännchen oder Kerzen. Problematisch ist das Fehlen einer Opposition im Parlament verbunden mit einer Vielzahl verschiedener Akteuren.

Nicole Sagener, Redakteurin bei Euractiv und freie Mitarbeiterin bei ZeitOnline, hat eine ganz andere Herangehensweise an die Komplexität der EU. Durch eine große Bandbreite an Themen sollen möglichst viele Leser*innen erreicht werden. Der Kontakt zu EU-Parlamentariern und Vertreter*innen der Wirtschaft und Wissenschaft ermöglicht es Euractiv exklusive Informationen und Standpunkte zu veröffentlichen. Um die Komplexität zu reduzieren, werden zu jedem Artikel Hintergrundinformationen bereitgestellt. Außerdem versucht das Onlinemedium neue Informationsformen zu nutzen. Informationen werden visuell dargestellt und über soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook verbreitet.

Manuel Müller, Betreiber des Blogs „Der (europäische) Föderalist“, nutzt das Internet als Möglichkeit, europapolitische Themen detailreicher zu erklären. Ziel ist es, die Europäische Union besser zu begründen und über das Argument des einzigartigen Friedensprojekts hinauszugehen. Verfassungspolitische Themen und die Rolle europäischer Parteien, die in herkömmlichen Medien kaum einen Platz finden, werden in seinem Blog genauer analysiert. Schließlich betonte Michael Stabenow, Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Brüssel, der per Video-Stream aus Brüssel zugeschaltet war, ein allgemeines Problem der Printmedien in Zeiten der Krise und der zunehmend wichtigen Rolle von Onlinemedien. Durch den stärkeren Wettbewerb ist die Hauptaufgabe nunmehr Informationen zu erläutern und einzuordnen. Kommentieren und analysieren von Informationen wird dabei immer mehr zum Privileg. Außerdem finden verbrauchernahe Themen zum Beispiel ein Vorstoß der Europäischen Kommission zur Erleichterung des Onlinehandels keinen Platz mehr neben den aktuellen Schlagzeilen in den Printzeitungen. Europaseiten, wie beispielsweise bis vor einigen Jahren noch in den Westfälischen Nachrichten, sind durch die zunehmende Hektik weitgehend verschwunden.

Nachdem alle Podiumsgäste ihren unterschiedlichen Umgang mit der Komplexität europapolitischer Themen dargestellt hatten, interessierte sich das Publikum vor allem für die Frage nach einer europäischen Öffentlichkeit. Manuel Müller vertrat die These, dass es in der EU ein Demokratiedefizit gebe, da die Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Parteien in den Medien nicht ausreichend dargestellt werden. Bei der Griechenlandkrise wurde fast nur über die nationalen Positionen im Ministerrat berichtet, obwohl länderübergreifende Konfliktlinien zwischen den Parteien deutlich sichtbar waren. Allerdings ist das nicht bei allen Themen der Fall. Häufig bestehe im Europäischen Parlament eine große Koalition, welche die große Mehrheit der europäischen Parteien umfasst. In solchen Fällen könne man von den Medien natürlich nicht erwarten, dass sie über diese wenig spannungsreiche Konstellation berichten. Für mehr Berichterstattung braucht es also zuerst eine institutionelle Verstärkung der europäischen Demokratie, welche europäische Politik konfliktreicher gestalten würde.

Michael Stabenow zufolge gibt es die europäische Öffentlichkeit bereits in einigen Fällen. Die Champions League und der Eurovision Song Contest gehören zur gemeinsamen europäischen Identität. Aber auch in schwerwiegenderen Fällen wie den Terroranschlägen in Paris vergangene Woche spielt die EU eine hervorgehobene Rolle. Frankreich hat für den Kampf gegen den Terror nicht etwa die NATO angerufen, sondern die EU, was einen starken symbolischen Charakter hat. Auch der wachsende Euroskeptizismus ist seiner Meinung nach eine Möglichkeit, die Debatte über die Zukunft der Europäischen Union europaweit öffentlich auszutragen, was wiederum zum Entstehen einer europäischen Öffentlichkeit beiträgt.

Dirk Hoeren findet es gut nachvollziehbar, dass man aus einer nationalen Perspektive heraus Artikel über Europa schreibt, schließlich richtet man sich an eine deutsche Leserschaft. Bereits im Pressesaal in Brüssel sitzen die Journalist*innen getrennt nach Nationalität, merkte er an. Dabei sei seine Aufgabe allerdings nicht primär euroskeptisch zu berichten. Die Berichterstattung sei themenabhängig, während bei der Griechenlandrettung, als Last für den deutschen Steuerzahler, negativ über die EU berichtet wurde, werden bei anderen Themen wie der Abschaffung der Roaminggebühren positive Vorzüge der EU betont.

Für Nicole Sagener gibt es auf die Frage nach der europäischen Identität keine einfache Antwort. Die Identität sei stark von aktuellen Ereignissen und verschiedenen Themen abhängig. Nach den Terroranschlägen von Paris fühlten sich viele Bürger*innen stärker als Europäer. Bei der Flüchtlingskrise treten dagegen viel stärker nationale Perspektiven in den Vordergrund. Es bestehe aber die Möglichkeit eine europaweite Öffentlichkeit nach und nach herzustellen. Durch das Euractiv-Netzwerk können Artikel aus anderen Ländern übersetzt und für die eigene nationale Seite übernommen werden. Leser*innen bekommen damit Einblick in unterschiedliche nationale Perspektiven.

Für unser Publikum sowie für unsere Podiumsgäste war die Podiumsdiskussion eine gelungene Möglichkeit über die Rolle der EU in den Medien zu diskutieren. Es bleibt allerdings noch ein langer Weg hin zu einer europaweiten Öffentlichkeit und damit ein spannendes Thema, das es auch in Zukunft zu verfolgen gilt.

Ein herzliches Dankeschön gilt unseren Podiumsgästen sowie unseren Kooperationspartnern!

 

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